von Rechtsanwalt Stephan Michaelis,
Fachanwalt für Versicherungsrecht (Kanzlei Michaelis, Hamburg)
Viele Versicherer verlegen ihren Sitz teilweise aus Großbritannien (künftiges EU-Ausland) in das EU-Inland. Gern genommen sind derzeit Luxemburg oder Irland. Üblicherweise wird jedoch nicht der gesamte rechtliche, geschweige denn tatsächliche Standort verlegt. Viel eher wird eine Tochtergesellschaft im EU-Inland gegründet, auf welche die Verträge europäischer Kunden im Wege eines sog. Part-VII-Transfers übertragen werden. Auf diese Weise soll die reibungslose Fortführung von Verträgen der britischen Versicherungsgesellschaften mit ihren europäischen Kunden gewährleistet werden. Näheres hierzu: kanzlei-michaelis.de/die-auswirkungen-des-brexits-auf-das-versicherungsgeschaeft/
Bislang befinden sich m.E. die meisten Übertragungen i.S.e. Part-VII-Transfers im Planungs- oder nicht abgeschlossenen Durchführungsstadium. Allerdings sind auch schon einige Part-VII-Transfers zum Jahreswechsel wirksam geworden (z.B. Hiscox). Dennoch sind die (un)mittelbaren Konsequenzen für Versicherungsnehmer und -makler derzeit teilweise ungeklärt. Kritische Fragestellungen sind v.a. die folgenden:
Zunächst ist zu klären, ob ein „protektorähnlicher“ Schutz nach britischem Recht besteht und inwieweit das Risiko eines Rechtsverlusts für deutsche Versicherungsnehmer aufgrund eines Part-VII-Transfers besteht. Nur auf Grundlage dessen lässt sich eine brauchbare Prognose hinsichtlich der Aufklärungs- und Beratungspflichten des Versicherungsmaklers anstellen.
Es gibt in Großbritannien einen der Protektor Lebensversicherungs-AG ähnlichen Sicherungsmechanismus. Im Rahmen des Financial Services and Markets Act (2000) wurde das sog. Financial Services Compensation Scheme (FSCS) eingerichtet. Dieses wird wie Protektor von der Finanzindustrie finanziert und gewährt u.a. Versicherungsnehmern (Verbraucher und Kleinunternehmen) Entschädigungen für den Fall, dass ein insolventer Versicherer Ansprüche nicht mehr erfüllen kann. Voraussetzung für das Eingreifen des FSCS ist, dass sich der Anspruch gegen eine durch die PRA (Prudential Regulation Authority) zugelassene Versicherungsgesellschaft richtet. Die PRA ist eine der Nachfolgebehörden der ehemaligen Finanzmarktaufsichtsbehörde FSA (Financial Services Authority) im Vereinigten Königreich. Die PRA reguliert ferner auch Banken und andere Finanzinstitute. Neben der PRA existiert nunmehr die FCA (Financial Conduct Authority), welche allgemein für den Verbraucherschutz verantwortlich ist. Das FSCS kann u.U. auch bei Ansprüchen gegen insolvente Versicherungsmakler eingreifen, soweit diese durch die FCA zugelassen worden sind. In einer stark vereinfachten Darstellung deckt das FSCS im Einzelfall mindestens 90% des Insolvenzrisikos des Versicherungsnehmers ab. Zusätzlich zum FSCS existiert der sog. Financial Ombudsman Service, der Versicherungsnehmern die Möglichkeit eines Schlichtungsverfahrens eröffnet. Damit bestehen in Großbritannien Sicherungsmechanismen, die dem Schutzniveau in Deutschland etwa im Wesentlichen entsprechen.
Die Übertragung der Versicherungsverträge im Wege eines Part-VII-Transfers führt dazu, dass die (deutschen) Versicherungsnehmer den Zugang zum britischen FSCS verlieren. Dies liegt darin begründet, dass die Tochtergesellschaft, die fortan die Policen führt, nicht von den britischen Aufsichtsbehörden zugelassen wird und insoweit aus dem Anwendungsbereich des FSCS herausfällt. Wird der im Einzelnen betroffene Versicherungsvertrag in Länder wie das häufig gewählte Luxemburg übertragen, führt es dazu, dass große Teile des Insolvenzschutzes verloren gehen. Denn Luxemburg hat beispielsweise kein dem FSCS ähnliches Sicherungssystem. Diesen Umstand weisen die übertragenden Versicherer auch konsequent in ihren Informationsmaterialien aus. Gleiches gilt sinngemäß für den Zugang zum britischen Ombudsmann, obwohl hierbei z.B. in Luxemburg eine vergleichbare Ombudsstelle vorhanden ist.
Die besondere Problematik der Übertragungen im Wege eines Part-VII-Transfers ist, dass die Versicherungsgesellschaft die Möglichkeit hat, einseitig den Vertragspartner des Versicherungsnehmers zu ändern, ohne dass der einzelne Versicherungsnehmer eine Möglichkeit hat, gegen die Übertragung zu votieren oder diese zu vereiteln. Die Zustimmung des Versicherungsnehmers wird insoweit durch das gesetzliche Genehmigungsverfahren ersetzt. Im Wege dieses Verfahrens werden zunächst die PRA und FCA einbezogen. Diese holen wiederum Stellungnahmen der nationalen Aufsichtsbehörden (hier BaFin) ein, welche die betroffenen Versicherungsnehmer repräsentieren. Zusätzlich ist ein Expertengutachten einzuholen. Auf Grundlage all dieser Stellungnahmen kann die Versicherungsgesellschaft die endgültige Übertragung der Verträge gerichtlich beantragen. Sieht das Gericht die Interessen der Versicherungsnehmer gewahrt, genehmigt es die Übertragung.
Zunächst kann der Versicherungsnehmer sich gegen eine entsprechende Übertragung wehren, indem er vor Gericht Einspruch erhebt. Da die meisten Verhandlungen zu den gerichtlichen Übertragungsprozessen bereits abgeschlossen sein werden, stellt dieser Weg für die meisten Versicherungsnehmer wohl keine taugliche Abwehrmöglichkeit dar. Zudem ist im Angesicht der vielen bereits erfolgreich durchgeführten Übertragungen nicht davon auszugehen, dass die Argumente gegen eine Übertragung bei Gericht verfangen. Hinzu kommt, dass die BaFin in aller Regel dazu neigt, Part-VII-Transfers im Interesse der deutschen Versicherungsnehmer zuzustimmen. Die entsprechenden Verfahren sind also entweder abgeschlossen oder lassen sich aus praktischen Gesichtspunkten nur schwierig angreifen.
1. Sonderkündigungsrecht gem. § 313 BGB
Nichtsdestotrotz lässt sich nicht von der Hand weisen, dass der Insolvenzschutz von Versicherungsnehmern verkürzt wird, wenn die entsprechenden Verträge auf eine Tochtergesellschaft in einem Staat übertragen werden, der keinen Sicherungsmechanismus wie FSCS oder Protektor kennt. Dies gilt auch dann, wenn man wie die Part-VII-Gutachter kein schwerwiegendes Risiko für den Versicherungsnehmer erkennt. Eine formale Verkürzung des Insolvenzschutzes bleibt bestehen. Fraglich ist, wie sich der Versicherungsnehmer nach erfolgtem Part-VII-Transfer zur Wehr setzen könnte. Vorausgesetzt für den Versicherungsvertrag ist deutsches Recht vereinbart, ließe sich über eine Rückabwicklung bzw. Kündigung des Vertrags wegen Wegfalls der Geschäftsgrundlage i.S.d. § 313 Abs. 1, 3 BGB nachdenken. Hiernach wäre eine Kündigung möglich, soweit sich Umstände schwerwiegend geändert haben, die zur Grundlage des Vertrags geworden sind; die Parteien den Vertrag bei Kenntnis der Umstandsänderung nicht geschlossen hätten und eine Anpassung des Vertrags nicht möglich oder einer Partei nicht zumutbar ist.
a) Schwerwiegende Änderung der Vertragsgrundlage(n)
Für eine Änderung der Vertragsgrundlage kommen m.E. nur zwei sinnvolle Anknüpfungspunkte in Betracht: die Änderung des Vertragspartners oder die Verkürzung des Insolvenzschutzes. Gleichwohl lassen sich beide Anknüpfungspunkte nicht vollständig voneinander trennen, da die Verkürzung des Insolvenzschutzes gerade in der Änderung des Vertragspartners wurzelt. Für § 313 BGB gilt, dass nicht jede Änderung als wesentlich oder schwerwiegend gelten kann. Eine Änderung kann nur dann als schwerwiegend gelten, wenn nicht ernstlich daran gezweifelt werden kann, dass eine Partei den Vertrag nicht geschlossen hätte, wenn ihr die geänderten Umstände bekannt gewesen wären. Ob solch eine eindeutige Sachlage in Hinblick auf die Verkürzung des Insolvenzschutzes vorliegt, kann bezweifelt werden. Hier wäre bereits zu berücksichtigen, inwieweit die Einhaltung von Solvency-II-Vorschriften bereits einen ausreichenden Schutz vor der Insolvenz des Versicherers vermittelt. Dennoch lässt sich m.E. ein brauchbares Argument entwickeln, dass die Verkürzung des Insolvenzschutzes eine schwerwiegende Änderung der Vertragsgrundlagen bedeutet.
Ferner dürfte die Änderung aber auch nicht in die Risikosphäre des Versicherungsnehmers fallen. In Unkenntnis der konkreten Vertragsgestaltungen kann aber vermutet werden, dass der mögliche Anspruch gegen einen Sicherungsmechanismus wie das FSCS nicht vertraglich verbürgt ist. Schließlich handelt es sich ja hierbei um eine staatliche Sicherungsmaßnahme, die gerade außerhalb des Vertrags steht. Grundsätzlich bestehen nach meinem Dafürhalten leider keine Vorschriften oder vertragsimmanente Regeln, die den Versicherer daran hindern, eine Sitzverlegung durchzuführen. Daher spricht vieles dafür, die Sitzverlegung als allgemeines Risiko zu betrachten, dass hier dem Versicherungsnehmer zuzuweisen ist.
b) Zumutbarkeit des Festhaltens am unveränderten Vertrag
Unabhängig davon, ob ein Sonderkündigungsrecht gem. § 313 Abs. 1, 3 BGB bereits am Fehlen der notwendigen schwerwiegenden Änderung scheitert, stellt sich die Frage, ob dem Versicherungsnehmer nicht ohnehin eine Fortsetzung des Vertrags unter geänderten Umständen zugemutet werden kann. Hier stellt sich abermals die Frage, inwieweit die Einhaltung von Solvency-II-Vorschriften ein ausreichendes Schutzniveau vermittelt. Hinzu kommt die Erwägung, dass die Vertragsübertragung (auch) im Interesse der Versicherungsnehmer erfolgt. Schließlich sollen die Verträge so im EU-Inland verbleiben, um eine reibungslose Fortführung der Vertragsbeziehung zu gewährleisten. Es soll der Zulassungsverlust des Versicherers vermieden werden, um eine Undurchführbarkeit der Verträge zu verhindern. Vor diesem Hintergrund spricht vieles dafür, ein Sonderkündigungsrecht abzulehnen. Ein Indiz für die Zumutbarkeit kann hier auch die Haltung der BaFin sein, die den Part-VII-Transfers zustimmt, nachdem sie bereits kurz nach dem Brexit eine Lösung von den britischen Versicherern gefordert hatte.
c) Zwischenergebnis
Die voranstehende Würdigung stellt natürlich nur ein erstes „Durchdenken“ der Anspruchsvoraussetzungen und keine umfassende Würdigung dar. In Anbetracht der Vielschichtigkeit der Problemstellung sowie der politischen Dimension müsste man eher ein Gutachten in Auftrag geben, um eine ansatzweise verbindliche Antwort zu erhalten. In jedem Fall aber kann m.E. ein Sonderkündigungsrecht aus § 313 Abs. 1, 3 BGB „eher nicht“ konstruiert werden. Ausführungen zu den Rechtsfolgen (Rückkaufswert?) eines etwaigen Sonderkündigungsrecht können insoweit dahinstehen. Zu einem anderen Ergebnis könnte man u.U. dann gelangen, wenn man es als unzumutbar betrachtet, den Versicherungsvertrag ohne die Absicherung durch ein System wie FSCS oder Protektor fortzuführen. Die Unzumutbarkeit und die Risikozuweisung an den Versicherer würden sich jedoch nur schwer begründen lassen.
2. Kündigung aus wichtigem Grund gem. § 314 BGB
Da es sich bei einem Versicherungsvertrag um ein Dauerschuldverhältnis handelt, kann eine Kündigung aus wichtigem Grund gem. § 314 Abs. 1 BGB in Betracht gezogen werden. Allerdings stehen §§ 313, 314 BGB in einem besonderen Näheverhältnis zueinander und gleichen sich in ihren Voraussetzungen. Während § 313 Abs. 1, 3 BGB die Kündigung aufgrund außervertraglicher Umstände zulässt, kann die Kündigung aus § 314 Abs. 1 BGB nur auf solche Gründe gestützt werden, die gerade im Risikobereich des Kündigungsgegners liegen. Ob die Verkürzung des Insolvenzschutzes durch Sitzverlegung bzw. (rechtmäßige) Übertragung auf eine Tochtergesellschaft dem Risikobereich des Versicherers zuzuweisen ist, kann bestritten werden. Unabhängig davon erfordert § 314 BGB analog zu § 313 BGB die Unzumutbarkeit der Vertragsfortführung. An dieser kann aus den o.g. Gesichtspunkten gezweifelt werden.
3. Weitere Sonderkündigungsrechte
Weitere Sonderkündigungsrechte sind m.E. in Abwesenheit etwaiger vertraglichen Abreden nicht ersichtlich.
In Großbritannien gibt es mit dem FSCS ein der Protektor Lebensversicherungs-AG ähnliches Sicherungssystem. Deutsche Kunden britischer Versicherer verlieren regelmäßig ihren Zugang zu diesem System, wenn und soweit ihre Verträge im Wege eines Part-VII-Transfers auf Tochtergesellschaften im künftigen EU-Inland übertragen werden. Diese Übertragungen erfolgen mit Zustimmung der BaFin als Interessenvertreterin der deutschen Versicherungsnehmer. Deutsche Kunden können im Wege des gerichtlichen Genehmigungsprozess der Part-VII-Transfers im Vereinigten Königreich Einspruch erheben. Viele Part-VII-Transfers sind jedoch bereits abgeschlossen. Auch in den noch laufenden Verfahren ist nicht damit zu rechnen, dass die Einsprüche deutscher Kunden durchschlagen würden. Ein Sonderkündigungsrecht nach deutschem Recht besteht wahrscheinlich nicht, wenngleich es auch noch keine Rechtsprechung zu dieser Thematik gibt.
Für den betreuenden Versicherungsmakler ist es in diesem undurchsichtigen und politisch bewegten Themenfeld besonders schwierig abzuschätzen, wie weit seine Aufklärungs- und Beratungspflichten reichen. Im Angesicht der o.g. Zusammenhänge können die Aufklärungs- und Beratungspflichten m.E. aber im Wesentlichen kaum über die reine Informationspflicht zu der „Faktenlage“ hinausreichen. Die britischen Versicherungsunternehmen haben die betroffenen deutschen Kunden sicher umfassend via Broschüre und Anschreiben über die Folgen eines geplanten Part-VII-Transfers aufgeklärt. Wenn die Versicherungsnehmer diese Informationen nicht direkt erhalten haben, so ist es Aufgabe des Versicherungsmaklers, diese weiterzuleiten. Da die Übertragung der Verträge aber gemeinhin im Interesse der Versicherungsnehmer erfolgt und nach hier vertretener Auffassung keine Sonderkündigungsrechte bestehen, trifft den Versicherungsmakler keine darüberhinausgehende Pflicht. Anders kann es sich verhalten, wenn die vermittelten Verträge eine Klausel enthalten, die eine (vorteilhafte) Kündigung ermöglichen. Da die Policen – abgesehen vom Vertragspartner – unverändert (meist sogar von den gleichen Ansprechpartnern beim Versicherer) fortgeführt werden, ergibt sich auch inhaltlich kein Beratungsbedarf, der über den Rahmen der Situation vor Übertragung hinausgeht. Sollte in der Folgezeit bekannt werden, dass entgegen der hier vertretenen Auffassung ein Sonderkündigungsrecht besteht, so wären die Versicherungsnehmer dahingehend natürlich aufzuklären.
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